Über den Stand der Aufarbeitung der SED-Diktatur mehr als 30 Jahre nach ihrem Ende werden vom 20. bis 22. Mai 2022 in Rostock 200 Teilnehmer auf dem 25. Bundeskongress der Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und der Folgen der kommunistischen Diktatur sowie der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur mit den Verfolgtenverbänden und Aufarbeitungsinitiativen debattieren. Der jährlich stattfindende Kongress, 2022 turnusgemäß ausgerichtet von der Landesbeauftragten für MV für die Aufarbeitung der SED-Diktatur Anne Drescher, ist die einzige Plattform, bei der Vertreter von über 40 Verbänden aus allen Bundesländern ihre Anliegen austauschen und Forderungen artikulieren.
Mit dem Ende des SED-Staates vor nunmehr 32 Jahren begannen die Debatten um die Anerkennung von Unrecht, die strafrechtliche Verfolgung der Täter sowie die Rehabilitierung und Entschädigung der Opfer. Die SED-Unrechtsbereinigungsgesetze von 1992/1994 und ihre Novellierung 2019 waren wichtige Meilensteine auf diesem Weg. Sie mussten zum Teil hart erkämpft werden, nicht zuletzt von den Betroffenenverbänden und Aufarbeitungsinitiativen. Trotz allem Erreichten sind insbesondere bei den Betroffenen, aber auch gesellschaftlich eine Reihe von Wunden und Narben zurückgeblieben.
Vor 30 Jahren trat das 1. SED-Unrechtsbereinigungsgesetz in Kraft. Aus diesem Anlass beschäftigt sich der diesjährige Bundeskongress gemeinsam mit Politikern, Juristen, Historikern, Psychologen sowie Zeitzeuginnen und Zeitzeugen mit drei großen Fragen: Welche Formen der Aufarbeitung stehen Politik, Gesellschaft und dem Einzelnen zur Verfügung? Was braucht es neben juristischer Aufarbeitung und finanzieller Entschädigung? Wie gelingt es, mit dem erfahrenen Unrecht und den erlittenen Verletzungen zu leben? Dabei richtet sich der Blick nicht nur auf die Erfahrungen mit der Aufarbeitung der SED-Diktatur, sondern auch darüber hinaus auf die Erfahrungen in postsowjetischen Gesellschaften, wie z.B. in Zentralasien.
Den Festvortrag zur Eröffnung am Freitag, 20. Mai 2022, hält Helga Schubert unter dem Titel „Die Diktatur ist die Täterin. Oder?“. Helga Schubert ist Schriftstellerin und Psychologin, wurde in der DDR vom MfS observiert und war Pressesprecherin des Zentralen Runden Tisches in der DDR. 2020 erhielt sie für ihre Erzählung „Vom Aufstehen“ den Ingeborg-Bachmann-Preis.
Am Samstag, 21. Mai 2022, stehen Fragen der juristischen und politischen Aufarbeitung im Vordergrund des Kongresses. Dazu werden der langjährige Bundestagsabgeordnete Hans-Joachim Hacker, der Staatsanwalt Thomas Bardenhagen und Prof. Dr. Anja Mihr vortragen und sich in drei parallelen Gesprächsforen mit den Teilnehmern austauschen.
Am Sonntag, 22. Mai 2022, geben mit Prof. Dr. Michael Linden und Prof. Dr. Dr. Andreas Maercker zwei namhafte Wissenschaftler und Therapeuten einen Einblick in neueste Forschungsergebnisse zur Verarbeitung von Traumata und leidvollen Erfahrungen.
Seinen Abschluss findet der Bundeskongresses in der Petrikirche, einem authentischen Ort des Aufbruchs von 1989 in Rostock, mit einer öffentlichen Gedenkveranstaltung in Form einer ökumenischen Andacht, die durch die Landesbischöfin der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland, Kristina Kühnbaum-Schmidt, und für das Erbistum Berlin (für den Landesteil Vorpommern) durch Dompropst Prälat Tobias Przytarski gestaltet wird.
Aufarbeitung. Ein bleibendes Thema für Betroffene, Gesellschaft und Politik
25. Bundeskongress der Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und der Folgen der kommunistischen Diktatur sowie der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur mit den Verfolgtenverbänden und Aufarbeitungsinitiativen
Bundeskongress
Freitag, 20. Mai bis Sonntag, 22. Mai 2022
Radisson Blu Hotel, Lange Straße 40, 18055 Rostock
Veranstalter
Konferenz der Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und der Folgen der kommunistischen Diktatur
Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur
Organisationsbüro
Die Landesbeauftragte für Mecklenburg-Vorpommern zur Aufarbeitung der SED-Diktatur
Bleicherufer 7, 19053 Schwerin
Tel.: 03 85-73 40 06, Fax: 03 85-73 40 07
E-Mail: post{at}lamv.mv-regierung.de
Im Tagungsbüro erreichen Sie uns unter 0172/3617122.
Hintergrundinformationen zu Landesbeauftragten und Bundeskongress
Anfang der 1990er-Jahre wurden in Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen Behörden der Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen eingerichtet, 2009 folgte das Land Brandenburg mit der Wahl einer Beauftragten zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur. Die Landesaufarbeitungsbeauftragten hatten die Stasi-Akten nie zu verwalten und sind nicht zu verwechseln mit den dafür zuständigen Außenstellen des Stasi-Akten-Archivs. Die Volkskammer hatte im August 1990 beschlossen, dass für die dezentral in den Ländern zu verwaltenden Sonderarchive mit den Stasi-Akten Landesbeauftragte gewählt werden sollten. Der Bundestag entschied sich dagegen im Dezember 1991 mit dem Stasi-Unterlagen-Gesetz für eine zentrale Verwaltung durch einen Bundesbeauftragten. Für die Länder war im Gesetz die Einrichtung von Landesbeauftragten für länderspezifische Belange im Umgang mit den Akten sowie für die Bürgerberatung zu Fragen, Problemen und Konflikten vorgesehen, die sich aus der Tätigkeit des Ministeriums für Staatssicherheit ergeben.
Mit der Einführung der SED-Unrechtsbereinigungsgesetze 1992 und 1994 wurden die Landesbeauftragten mit ihrem Beratungsangebot zu wichtigen Anlaufstellen für Betroffene im Zusammenhang mit Verfolgung und Repression in der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR oder mit der Aufarbeitung und Aufklärung des eigenen Schicksals oder des Schicksals von Angehörigen. Neben der Beratung gehört die politisch-historische Aufarbeitung zu den Aufgaben der Landesbeauftragten, mit regionaler Forschung, Publikationen und politischer Bildung. Diesem Aufgabenprofil entsprechend und auch um die Aufarbeitung von der Fokussierung auf die Stasi weg hin zu einer gesamtheitlichen Betrachtung der SED-Diktatur zu lenken, sind in den vergangenen Jahren die Landesbeauftragtengesetze angepasst und die Behördenbezeichnungen geändert worden – so Anfang 2019 auch in Mecklenburg-Vorpommern. Aufgrund neuer Regelungen für zusätzliche Betroffenengruppen wie ehemalige Heimkinder, Minderjährige in sonderpädagogischen, psychiatrischen und Behinderteneinrichtungen oder Sportgeschädigte sowie aufgrund der Entfristung der Rehabilitierungsgesetze ist der Bedarf an Beratung bei den Landesbeauftragten nach wie vor hoch.
Der von den Landesbeauftragten und der Bundesstiftung Aufarbeitung seit 1996 jährlich in einem anderen Bundesland ausgerichtete Bundeskongress hat sich als das einzige bundesweite und internationale Forum für die Vertreter von Verbänden und Initiativen zu Fragen der Aufarbeitung der SED-Diktatur etabliert.
Programm (Auszug)
Freitag, 20. Mai 2022
18.00 Uhr
Eröffnung
Anne Drescher, Landesbeauftragte für MV für die Aufarbeitung der SED-Diktatur
Dr. Anna Kaminsky, Direktorin der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur
Grußworte
Birgit Hesse, Präsidentin des Landtages Mecklenburg-Vorpommern
Claus Ruhe Madsen, Oberbürgermeister der Hansestadt Rostock
Festvortrag „Die Diktatur ist die Täterin. Oder?“
Helga Schubert, Schriftstellerin und Psychologin
Samstag, 21. Mai 2022
9.00 Uhr
30 Jahre SED-Unrechtsbereinigungsgesetz(e) – Rückblick auf einen langen Weg
Hans-Joachim Hacker, ehem. Mitglied des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages
9.45 Uhr
Aufarbeitung des SED-Unrechts durch die Justiz – ein Erfolg?
Thomas Bardenhagen, Staatsanwalt, Schwerin
11.00 Uhr
Politische Aufarbeitung in postsowjetischen Gesellschaften – das Beispiel Zentralasien
Prof. Dr. Anja Mihr, DAAD Professor an der OSZE Akademie in Bischkek, Kirgisistan
20.15 Uhr
Film „Fließende Grenze“ und Gespräch mit der Filmemacherin Joana Vogdt
Sonntag, 22. Mai 2022
9.00 Uhr
Die Psychologie der leidvollen Erinnerungen und des heilsamen Vergessens
Prof. Dr. Michael Linden, Leiter der Forschungsgruppe Psychosomatische Rehabilitation, Charité Berlin
9.45 Uhr
Historisches Trauma, anhaltende Trauer
Prof. Dr. Dr. Andreas Maercker, Leiter des Forschungsbereichs Psychopathologie und Klinische Intervention, Universität Zürich
11.00 Uhr
Podiumsgespräch mit Evelyn Zupke, Bundesbeauftragte für die Opfer der SED-Diktatur beim Deutschen Bundestag sowie Prof. Dr. Michael Linden und Prof. Dr. Dr. Andreas Maercker
12.30 Uhr
Gedenkveranstaltung in der Petrikirche Rostock (öffentlich, ohne Anmeldung)
Ökumenische Andacht
Landesbischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt, Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland
Dompropst Prälat Tobias Przytarski, Erzbistum Berlin (für den Landesteil Vorpommern)
Alle Veranstaltungen des Bundeskongresses mit Ausnahme der Gedenkveranstaltung in der Petrikirche sind nur für die akkreditierten Teilnehmer/innen zugänglich. Pressevertreter werden für eine Berichterstattung um vorherige Anmeldung im Tagungsbüro gebeten.
Die Pressemitteilung zum Download finden Sie hier.
Das Programm zum Download finden Sie hier.