Pressemitteilung
Schwerin, 28.06.2013
Vor einem Jahr, am 2. Juli 2012, wurde die Anlauf- und Beratungsstelle „Heimerziehung in der DDR“ in Schwerin bei der Landesbeauftragten für MV für die Stasi-Unterlagen eröffnet. Der Leiter Burkhard Bley war zuvor als Bürgerberater bei der Landesbeauftragten tätig und hat u.a. Betroffene der DDR-Heimerziehung insbesondere bei ihren Antragsverfahren auf strafrechtliche Rehabilitierung begleitet.
Schon im Vorfeld, besonders aber nach dem Start des Fonds erlebten in der Anlauf- und Beratungsstelle Burkhard Bley und die Beraterin Gudrun Buggenhagen einen wahren Ansturm. Allein in den ersten drei Monaten meldeten sich fast 1.000 Betroffene, Angehörige, Interessenten, die sich telefonisch, per Post oder per Mail über den Fonds informieren oder auch für eine Beratung vormerken lassen wollten. Gegenwärtig betreuen die seit Mai 2013 drei Mitarbeiter der Beratungsstelle in ihrer Zuständigkeit über 1.300 Personen, die entweder in MV wohnen oder mit heutigem Wohnsitz in den alten Ländern oder im Ausland in der DDR vom Territorium des heutigen MV aus eingewiesen wurden.
Der Fonds Heimerziehung richtet sich an Betroffene, die in Einrichtungen der DDR-Jugendhilfe Leid und Unrecht erfahren haben und auch heute noch unter den Folgen leiden. In den Jahren 1949 bis 1989 haben hochgerechnet etwa 495.000 Minderjährige die Heime der Jugendhilfe der DDR durchlaufen. Davon waren etwa 135.000 Minderjährige in den Spezialkinderheimen für Schwererziehbare und Jugendwerkhöfen. Bezogen auf den Bevölkerungsanteil von MV von etwa 12 Prozent wären insgesamt knapp 60.000 Personen betroffen, darunter 16.000 ehemalige Insassen von Spezialheimen.
„Wir rechnen daher mit einer hohen Dunkelziffer von Personen, die wir auch aufgrund der psychischen und sozialen Folgen der DDR-Heimerziehung bisher nicht erreichen konnten“, sagte der Leiter der Anlauf- und Beratungsstelle Burkhard Bley. Gerade für diesen Personenkreis träfen die Kriterien des Fonds zu. „Insbesondere über die Spezialheime wird übereinstimmend von Betroffenen berichtet, wie sie mit menschenverachtenden Methoden schwarzer Pädagogik zu angepassten Staatsbürgern umerzogen werden sollten.“ Dies werde in Studien und Expertisen genauso bewertet.
Wichtig sei aber auch zu differenzieren, so Bley, „dass unter den schwierigen politischen, personellen und materiellen Bedingungen in der DDR trotzdem von den Heimerziehern überwiegend eine gute und engagierte Arbeit geleistet worden sein muss.“ Denn bezogen auf die Gesamtzahl aller ehemaligen Heimkinder hätten sich bisher etwa 2 Prozent der Betroffenen vormerken lassen, die Leistungen des Fonds in Anspruch nehmen möchten.
„In unsere Beratung kommen vor allem schwer traumatisierte Personen, die am Rande des Existenzminimums und sozial isoliert leben. Viele sind schwerbehindert, leiden unter chronischen Erkrankungen. Diese Menschen berichten unter Tränen, dass sie in den Heimen und Jugendwerkhöfen von Erziehern und Mitinsassen geschlagen wurden. Sie wurden gedemütigt, als unwert bezeichnet, angebrüllt, militärischem Drill unterzogen. Sie hatten keine Bezugspersonen, wurden von Geschwistern getrennt, Freundschaften wurden unterbunden.“
In den Jugendwerkhöfen, aber auch in vielen Heimen hätten die Kinder und Jugendlichen unter strengen Normauflagen schwere körperliche, gesundheitsschädliche und schmutzige Arbeiten zu verrichten gehabt.
„Es gab keine Privat- und Intimsphäre, Briefe nach draußen wurden zensiert, Briefe von außen nicht zugestellt. Die Strafen reichten von Taschengeldentzug, Fernseh- und Ausgehverbot, Urlaubssperre, Essensentzug, Gruppenkeile bis zu wochenlangem Arrest. Wer sich dann nicht fügte, wurde direkt von Margot Honeckers Volksbildungsministerium in den berüchtigten Geschlossenen Jugendwerkhof Torgau eingewiesen – einer Einrichtung, in der einem Grundsatzurteil zufolge die Menschenrechte der betroffenen Jugendlichen regelmäßig schwerwiegend verletzt wurden. Was auch immer der Grund für eine Heimeinweisung gewesen sein mag: Kinder und Jugendliche darf man so nicht behandeln!“
Mit der Einrichtung des Fonds könne das Leid nicht ungeschehen gemacht werden. Die moralische Anerkennung des erlittenen Unrechts helfe den Betroffenen, ihre Würde zurückzuerlangen. „Das Gespräch mit einem geschulten Berater kann sehr hilfreich sein, wenn es darum geht, belastende Erinnerungen und Stigmatisierungen zu überwinden.“ In einer Art Lotsenfunktion vermittele der Berater den Betroffenen kompetente Ansprechpartner für ihre Probleme. Materielle und Rentenersatzleistungen helfen oft nur, schlimmste Not zu lindern. Mitunter können aber auch Wünsche wahr gemacht werden.
Die Pressemitteilung als PDF im Download finden Sie hier.